Natur & Umwelt
1.600 Tiger in Gefangenschaft in Europa
VIER PFOTEN Bericht deckt außer Kontrolle geratenen Tigerhandel auf
Die umstrittene Doku-Serie „Tiger King“ auf Netflix mit den US-Tigerzüchtern Joe Exotic, Jeff Lowe und Doc Antle, die die vom Aussterben bedrohten Großkatzen für Profit- und Unterhaltungszwecke missbrauchen, ist in aller Munde. Die Zahl der in Gefangenschaft lebenden Tiger in den USA wird auf 7.000 Tiere geschätzt – extrem hoch, wenn man bedenkt, dass weltweit nur noch rund 3.900 Tiger in der Wildnis leben. Doch auch in Europa ist die Situation der Tiger Grund zur Sorge. In einem neuen Bericht deckt VIER PFOTEN erschreckende Unstimmigkeiten zwischen den Zahlen der europäischen Behörden und eigenen Recherchen auf. Auch Österreich taucht in diesen Recherchen auf: Das Land liegt bei den Beschlagnahmungen von Körperteilen und Erzeugnissen, die in der EU-TWIX-Datenbank ausgewiesen sind, mit insgesamt 420 Konfiszierungen zwischen 2014 und 2018 europaweit auf Platz zwei hinter den Niederlanden. Im gleichen Zeitraum exportierte Österreich laut CITES Datenbank neun lebende Tiger und belegt damit den siebten Platz unter den europäischen Exportnationen.
Laut VIER PFOTEN Nachforschungen leben etwa 1.600 Tiger in Gefangenschaft in Europa – weitaus mehr als die von den europäischen Behörden angeführten 913 Tiere. Diese Diskrepanz deutet auf schwere Mängel bei der Datenerfassung hin. Es gibt auch keine genaue Auskunft darüber, wie viele Tiger in Europa geboren werden, wo sie ihr Leben verbringen und was mit ihnen passiert, wenn sie sterben.
Tiger in der Großkatzenstation Felida - Foto:FOUR PAWS/Mihai Vasile
Kieran Harkin, Internationaler Kampagnenleiter für Wildtierhandel bei VIER PFOTEN, erklärt: „Die meisten EU-Mitgliedsstaaten haben keine zentralen Register. Offizielle Papiere können problemlos gefälscht werden, oder Jungtiere werden erst gar nicht aufgezeichnet. Tiger werden als Ware angesehen und für Zucht, Handel und Ausbeutung herumgereicht“.
Österreich: Behörden haben keine Übersicht
In der gesamten EU ist es legal, Tiger für den kommerziellen Handel sowohl innerhalb Europas als auch für den Export in die ganze Welt zu züchten. Die neuen Recherchen von VIER PFOTEN beweisen, dass den zuständigen Behörden jedoch keine genauen Zahlen vorliegen. Nachdem VIER PFOTEN mittels „Freedom of Information (FOI)“-Anträgen 28 EU-Mitgliedsstaaten und acht Nachbarländer aufforderte, die tatsächliche Anzahl von Tigern in Zoos, Privathaltungen, Zirkussen und Schutzzentren zu veröffentlichen, konnten nur 17 von 36 Ländern antworten. Auch in Österreich gaben sieben zuständige Behörden in den Bundesländern keine Antwort; zwei weitere Länderbehörden sowie eine Bundesbehörde antworteten zwar, konnten aber keine Auskunft geben und verwiesen auf jene Zoos, die Tiger halten. Das heißt, dass auch Österreichs Behörden keinerlei Übersicht über den heimischen Tigerbestand haben. Die VIER PFOTEN Recherchen haben außerdem Unstimmigkeiten zwischen den geschätzten Beständen und den Exporten von Lebendtigern und den Angaben in der CITES-Datenbank ergeben. „Allein die Anzahl der Tigerwelpen, die einige Zoos in Österreich laufend züchten, ist mit den offiziellen Daten nicht sehr stimmig“, so Harkin. „Eine genauere Datenerfassung und Auskunft seitens der Behörden, was mit den gezüchteten Tieren passiert, wäre daher sehr wichtig.“
Allein die geschätzten 400 Tiger in Italien stellen die durch die FOI-Anträge ermittelte Gesamtzahl von 913 Tigern in ganz Europa in Frage. EU-Parlamentsmitglied Martin Hojsík, der im Ausschuss für Umweltfragen, öffentliche Gesundheit und Lebensmittelsicherheit sitzt, meint dazu: „Die VIER PFOTEN Recherchen machen deutlich, dass die Behörden unfähig sind, die einfache Frage nach der Gesamtzahl der in Gefangenschaft lebenden Tiger in ihrem Land zu beantworten. Trotzdem wird der Handel weiterhin erlaubt und aus den Tieren werden ‚Tiger zweiter Klasse‘, da sie nicht denselben Schutz erhalten wie ihre wild lebenden Artgenossen“.
Dehnübungen im neuen Zuhause - Foto: FOUR PAWS/ Daniel Born
Datenlücken und wackelige Zahlen
Die Privathaltung und/oder Verwendung von Wildtieren in Zirkussen ist in vielen Ländern noch immer erlaubt, in Österreich jedoch verboten. Viele von ihnen leiden unter schlechten Haltungsbedingungen und brutaler Behandlung. Mehrere Monate lang recherchierte VIER PFOTEN neben den oben erwähnten Bestandsdaten die legalen und illegalen Handelsströme in ganz Europa und untersuchte Handelsdaten und Beschlagnahmungen. VIER PFOTEN kontaktierte insgesamt 641 nationale, regionale und lokale Behörden in 36 Ländern. Leider konnten viele trotz umfangreicher Recherchen und zahlreicher Anfragen keine Daten weitergeben. In Großbritannien mussten beispielsweise 410 Behörden kontaktiert werden, um Zahlen zu erhalten, und trotz mehrfacher Anfragen konnten 78 Behörden in Deutschland keine validen Auskünfte geben. Ohne eine effektive Aufzeichnung der Tiger in Gefangenschaft in den EU-Mitgliedsstaaten und ohne Kontrolle des Handels innerhalb der EU werden illegaler Handel und Tierquälerei weiterhin florieren.
Wilde Tigerpopulationen profitieren von einem kommerziellen Handelsverbot
VIER PFOTEN empfiehlt als ersten Schritt die Ausarbeitung von EU-Richtlinien, die die Mitgliedsstaaten dazu anhalten, Export und Rückexport von lebenden Tigern und Tigerteilen zu stoppen – mit Ausnahmen im Falle von seriösen Zoos oder Schutzzentren. Zudem soll ein umfassendes Verbot des kommerziellen Tigerhandels eingeführt werden. „Das Verbot des kommerziellen Handels wird dazu führen, dass Wildtierhändler und -züchter nicht mehr Kapital aus Tigern schlagen können. Davon profitieren nicht nur die in Gefangenschaft lebenden Tiere, sondern auch die noch wenigen Tiger in freier Wildbahn“, so Harkin abschließend.
Statistik Karte Statistik Karte 2
Fotos: FOUR PAWS
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