Politik & Wirtschaft
Jobkiller Corona
Wie kommen wir aus der Arbeitsmarktkrise?
Das Coronavirus hat in Österreich für die höchste Arbeitslosigkeit seit dem Zweiten Weltkrieg gesorgt: 521.000 Menschen waren im Dezember ohne Job - ein Plus von mehr als 27% gegenüber dem Vergleichszeitpunkt des Vorjahres. Weitere 400.000 waren in Kurzarbeit. Über das Thema Arbeitsmarktkrise in der Corona-Pandemie diskutierten gestern Abend in der Internet-TV-Sendung "Politik am Ring" VertreterInnen der fünf Parlamentsfraktionen, begleitet von den beiden Arbeitsexperten Johannes Kopf vom Arbeitsmarktservice (AMS) und Michael Bartz von der IMC-Fachhochschule Krems.
Eingangs wollte der Moderator der Sendung Gerald Groß von AMS-Vorstandsmitglied Kopf wissen, ob ihm angeboten worden sei, das Amt des Arbeitsministers zu übernehmen. Sein Name war als Nachfolger von Ministerin Christine Aschbacher gehandelt worden. Kopf verneinte. Er hätte diese Position möglicherweise angenommen, sagte er, allerdings nur unter bestimmten Voraussetzungen.
"Aus wirtschaftspolitischer Sicht warten alle auf die Impfung", stellte Johannes Kopf klar. Kopf zeigte vorsichtigen Optimismus: "Verglichen mit den Zahlen von 2020 wird die Arbeitslosigkeit schon im März sinken und aufgrund der Impfung gibt es Hoffnung für den Sommer." Zwar werde es zunehmend Insolvenzen geben, aber die Politik werde "hoffentlich Stundungen in langfristige Kredite umwandeln", sagte Kopf. In vielen Bereichen würden Arbeitsplätze schnell wieder nachkommen, zeigte sich der AMS-Vorstand zuversichtlich.
Muchitsch (SPÖ) fordert Erhöhung des Arbeitslosengeldes
Für Josef Muchitsch (Sozialsprecher der SPÖ) wäre nicht nur eine Erhöhung des Arbeitslosengeldes eine wichtige Sofortmaßname, durch die die Kaufkraft und damit die Wirtschaft angekurbelt werden könnte. Förderungen dürften nicht mehr - wie bisher - mit der Gießkanne vergeben werden, sondern gezielt, forderte Muchitsch. Er kritisierte, dass beispielsweise FFP2-Masken im Ausland und nicht bei österreichischen Betrieben bestellt wurden. Die von Muchitsch geforderte Erhöhung der Zahl an AMS-Planstellen wurde von Kopf als wünschenswert bestätigt, denn mehr Personal bringe eine bessere Betreuung der Arbeitslosen. Eine geplante Reduzierung der Zahl an AMS-BetreuerInnen wurde bereits zurückgenommen.
Zopf (ÖVP): Erhöhung des Arbeitslosengeldes ist nicht das richtige Zeichen
Für Bettina Zopf (ÖVP), Mitglied im Sozialausschuss, ist jeder und jede Arbeitslose einer bzw. eine zu viel. Wenn nicht ausreichend Menschen in den Sozialtopf einzahlten, "dann kann man auch nicht so viel herausnehmen", betonte sie. Die Forderung nach einer Erhöhung des Arbeitslosengeldes ist für Zopf während der Krise nicht das richtige Zeichen.
Belakowitsch (FPÖ): Man darf sich nicht auf die Impfung allein verlassen
Dagmar Belakowitsch, Sozialsprecherin der FPÖ, warnte davor, sich allein auf die Impfung zu verlassen, denn "was macht die Wirtschaft, wenn die Impfung nicht so gut ist, wie angenommen?" Ihrer Meinung nach könnte man jetzt durchaus den Handel aufsperren. "Es gibt aber keine Planbarkeit seitens der Bundesregierung", kritisierte sie. Die Menschen seien verunsichert und wüssten nicht, wie es weitergehe. "Die Krise wird durch die Planlosigkeit der Bundesregierung verstärkt, die Bürgerinnen und Bürger haben Angst um ihre Existenz", betonte Belakowitsch. Johannes Kopf stellte klar, dass die Arbeitslosigkeit nicht rückläufig sein könne, wenn sich die Konjunktur nicht erholen würde. "Selbstverständlich sind Lockdowns Jobkiller", sagte Kopf.
Loacker (NEOS): Dramatik am Arbeitsmarkt viel größer, als es Arbeitslosenzahlen zeigen
Gerald Loacker, Sozialsprecher der NEOS, wies darauf hin, dass die Dramatik am Arbeitsmarkt viel größer sei, als es die Arbeitslosenzahlen darstellten: Gut ausgebildete Jugendliche, die keine Arbeit bekämen, würden einfach weiterlernen, Frauen zögen sich in den häuslichen Bereich zurück, ohne sich arbeitslos zu melden, ältere Arbeitnehmer würden früher als geplant in Pension gehen. Auch Loacker kritisierte das Fehlen der Planbarkeit. Die Lockdowns seien ein ständiges "Auf und Zu" und "wir haben mehr Lockdown-Tage als andere Länder", hob Loacker hervor. Die angestrebte Inzidenzzahl von 50 sei "reine Willkür", damit treibe man die Leute in staatliche Abhängigkeit.
Koza (Grüne): Beschäftigungsprogramme nehmen Druck von den Menschen
Markus Koza, Bereichssprecher für Arbeit und Soziales der Grünen, sah die geplante Joboffensive prinzipiell als geeignete Methode, meinte aber "für viele Gruppen brauchen wir andere Maßnahmen". Er finde es gut, dass sich der neue Arbeitsminister Martin Kocher Beschäftigungsprogramme vorstellen könne, "denn das nimmt den Menschen den Druck", sagte er.
Muchitsch (SPÖ) kritisierte die Arbeits- und Wirtschaftspolitik der Regierung und forderte mehr Zusammenarbeit. Zopf (ÖVP) verwies auf die Notwendigkeit, neue Arbeitsplätze zu schaffen, sonst werde "das System nicht funktionieren". Zur Forderung nach einer Erhöhung des Arbeitslosengeldes sagte AMS-Vorstandsmitglied Johannes Kopf, man müsse das Thema "in seiner Gesamtheit diskutieren und nicht als Einzelmaßnahme". Generell sei es ihm zufolge wichtig, am Anfang ein höheres Arbeitslosengeld auszuzahlen und etwa nach drei Monaten zu reduzieren.
Auch in der Krise gebe es eine Dynamik am Arbeitsmarkt, erläuterte Kopf. Sorgen machen ihm die Personen, die schon vor der Krise arbeitslos geworden sind - die jetzigen Langzeitarbeitslosen. "Die sogenannte Sockelarbeitslosigkeit ist nach der Krise sicher höher, denn Langzeitarbeitslose haben es jetzt noch schwerer, eine Arbeitsstelle zu finden", meinte er. In manchen Bereichen werde die Beschäftigung jahrelang nicht auf den Stand vor der Corona-Krise zurückkehren. In der IT- oder der Pflege-Branche gebe es jetzt schon ausreichend Stellen.
80% der Kursangebote online, aber Praktika nicht möglich
Umqualifizierungen seien nicht einfach, "weil sich nicht alle Arbeitnehmer dazu eignen", sagte Kopf. Zudem sei es derzeit fast nicht möglich, Kurse abzuhalten. "Zwar sind fast 80% der Kursangebote auf Online-Abhaltung umgestellt worden, aber Praktika zu absolvieren, ist derzeit grundsätzlich nicht möglich", sagte Kopf. Alle Hoffnungen ruhten jetzt auf einer "raschen Impfung". Die Politik könne dann sehr schnell mit Gegensteuerungsmaßnahmen zur Wirtschafts- und Arbeitsmarktkrise reagieren.
Klar war für Johannes Kopf, dass es über den März hinaus Kurzarbeit geben müsse. Unklar sei hingegen noch der Weg aus der Kurzarbeit. "Man kann ArbeitsnehmerInnen nicht ewig in Bereichen halten, die es so nicht mehr gibt", erklärte Kopf. Bettina Zopf (ÖVP) stellte eine Entscheidung für den Februar in Aussicht, abhängig von den aktuellen Infektionszahlen. Für Markus Koza (Grüne) ist klar, "dass Arbeit und Bildung zunehmend kombiniert werden müssen". Dagmar Belakowitsch (FPÖ) geht von einer Verlängerung der Kurzarbeit bis Sommer aus. Josef Muchitsch (SPÖ) forderte, österreichische Unternehmen müssten mehr Aufträge erhalten. Kopfschütteln hatte Muchitsch für die aktuellen Regelungen über: "Der Handel darf nicht aufsperren, aber Schifahren und Eislaufen geht schon - da kommt die Praxis zu kurz."
1,4 Tage im Homeoffice
Durch die Coronakrise gibt es aber auch einen Digitalisierungsschub. Hunderttausende Österreicher arbeiten während der Lockdowns im Homeoffice. Arbeitsexperte Michael Bartz von der IMC-Fachhochschule Krems fasste die bisherigen Erfahrungen und Erkenntnisse zum Homeoffice zusammen. "Es gibt den verstärkten Wunsch, Homeoffice beizubehalten, allerdings in Kombination mit Anwesenheit am Arbeitsplatz", sagte er. "Die Flexibilität wird hoch bewertet, mobiles Arbeiten ist beliebt. Wenn kein Limit gesetzt wird, pendelt es sich bei etwa 1,4 Tage pro Woche ein." Ein Grund für den Wunsch nach Anwesenheit an der Dienststelle sei unter anderem der Karriereplan, erklärte Bartz. Die Eignung von Homeoffice hänge von der Art der Arbeit ab und nicht jeder bzw. jede sei für Homeoffice geeignet. Persönlichkeit und Reifegrad spielten eine große Rolle. Selbstmanagement sei im Homeoffice wichtig, das müsse man lernen.
Homeoffice habe natürlich auch für den Arbeitgeber Auswirkungen. Viele GeschäftsführerInnen planten bereits, Büroflächen zu verringern, Desk-Sharing einzuführen und Ähnliches, berichtete Bartz. Die Funktion des Büros der Zukunft sei aber, zusammenzukommen und daher brauche es Flächen der Zusammenarbeit.
Homeoffice als Entgrenzung zwischen Arbeit und Freizeit
Für Bettina Zopf (ÖVP) stelle sich die Schaffung von Regeln in diesem Bereich schwierig dar, denn Menschen wollten Gestaltungsspielraum, erläuterte sie. Für Josef Muchitsch (SPÖ) wäre verpflichtendes Homeoffice "ein Schuss ins Knie", weil Menschen damit automatisch Aufgaben wie Kinderbetreuung usw. übernehmen müssten. Die Mitgestaltungsmöglichkeit für ArbeitsnehmerInnen ist für Muchitsch der beste Weg.
Markus Koza (Grüne) verwies auf die "Entgrenzung von Arbeit und Freizeit". Dagmar Belakowitsch (FPÖ) steht der Arbeit im Homeoffice kritisch gegenüber, weil damit eine "Vereinsamung" der ArbeitnehmerInnen einhergehe. Für sie ist der Arbeitsplatz der Zukunft ein Präsenzarbeitsplatz. Gerald Loacker (NEOS) ist der Ansicht, dass es für eine gute Unternehmenskultur notwendig sei, die MitarbeiterInnen "ins Haus zu holen".
Arbeitsmarkt der Zukunft: Was bleibt nach der Krise?
Gerald Loacker (NEOS) sieht viele Maßnahmen durch die Krise beschleunigt, etwa den Trend zum Homeoffice, und stellte in Aussicht, dass sich die Lernprozesse beschleunigen würden. Zudem müsse man laut Loacker darauf achten, "dass Menschen arbeitsmarktfit sind". Dagmar Belakowitsch (FPÖ) prognostizierte ein noch längeres Andauern der Krise und eine massive Veränderung des Arbeitsmarkts. Sie wies auf ein strukturelles Problem hin: "Die Zufriedenheit am Arbeitsmarkt ist höher, je kleiner die Betriebe sind. Aber diese sind jetzt vielfach existenzgefährdet." Aufgrund der angespannten Arbeitsmarktlage dürften ArbeitnehmerInnen nicht ausgebeutet werden, "sie genießen einen hohen Schutz, den muss man erhalten", sagte sie.
Muchitsch (SPÖ) forderte eine klare Impfstrategie, Aufträge an Unternehmen im Inland zu vergeben, ein faires Steuersystem und eine Verkürzung der Arbeitszeit. Für Koza (Grüne) ist eine Erfahrung aus der Krise das Funktionieren des "guten österreichischen Sozialstaates". Dieses System müsse weiter ausgebaut werden, und zwar dort, "wo wir Zukunftsbereiche in der Beschäftigung haben, wie den Pflege- oder den Bildungsbereich", sagte Koza. Auch die Klimakrise habe Auswirkungen auf die Arbeitswelt und das Homeoffice könne dazu beitragen, eine umweltbewusste Mobilität zu fördern.
Zopf (ÖVP) meinte, man werde Bestehendes weiterentwickeln und am Thema Zukunft gemeinsam weiterarbeiten. Die Gespräche auf sozialpartnerschaftlicher Ebene sollten mithelfen, aus der Krise bestmöglich herauszukommen, erklärte Zopf.
Quelle: APA-OTS
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