Hauptausschuss debattiert über Aufbaufonds der EU zur Bewältigung der COVID-19-Folgen

Politik & Wirtschaft

Schuldenunion keine Lösung

Hauptausschuss debattiert über Aufbaufonds der EU zur Bewältigung der COVID-19-Folgen

17. Jun. 2020 | Wien

Bundeskanzler Kurz bekräftigt Position Österreichs, wonach Schuldenunion keine Lösung darstellt

Im Vorfeld der nächsten Sitzung der Mitglieder des Europäischen Rates, die am 19. Juni eine Videokonferenz abhalten, tagte heute der Hauptausschuss des Nationalrats in Angelegenheiten der Europäischen Union. Die EU-Führungsspitzen wollen die Frage eines Aufbaufonds als Reaktion auf die COVID-19-Krise in Verbindung mit einem neuen langfristigen EU-Haushalt erörtern. Von Seiten der Regierung standen den Abgeordneten Bundeskanzler Sebastian Kurz und Europaministerin Karoline Edtstadler für Auskünfte zur Verfügung.

Verhandlungsgegenstand auf der Tagesordnung des Hauptausschusses war der Bericht der Ständigen Vertretung vom 8. Juni 2020, der vom Bundesministerium für europäische und internationale Angelegenheiten vorgelegt worden war. Auf dieser Tagung wurde bereits intensiv über die Architektur des Aufbaufonds debattiert sowie über seine Abwicklung, die über den mehrjährigen Finanzrahmen der EU (MFR) für den Zeitraum 2021-2027 erfolgen soll. Dem Beschluss des Europäischen Rats am 23. April 2020, die Einrichtung eines Aufbaufonds in Angriff zu nehmen, um auf die COVID-19-Krise zu reagieren, folgte ein Vorschlag der EU-Kommission am 27. Mai 2020, wie dieser Aufbaufonds mit dem langfristigen Haushalt der EU verbunden werden kann. Über das neue Aufbauinstrument wird der EU-Rat diese Woche weiter beraten.

Kurz: Aufbaufonds soll rasche und gezielte Hilfe bieten

Wie Bundeskanzler Sebastian Kurz in seinem einleitenden Statement festhielt, sollen die Beratungen der EU-Regierungschefs diesmal noch per Videokonferenz erfolgen, sie sollen dabei aber der Vorbereitung für einen späteren Gipfel dienen, der hoffentlich bereits als physisches Treffen stattfinden könne.

Über die COVID-19-Krise sei die Frage des Brexit etwas in den Hintergrund getreten. Nach wie vor gebe es keinen Deal über die weitere Gestaltung der Beziehungen zwischen Großbritannien und der EU ab dem kommenden Jahr, er erwarte sich, dass der Bericht des Chefverhandlers der EU an den EU-Rat hier eher ernüchternd ausfallen werde. Das Szenario eines "No-Deal-Brexit" sei damit immer noch nicht vom Tisch. Die Position der EU-27 sei, dass man nach wie davon ausgehe, dass ein Abkommen zeitgerecht erzielt werden könne, um einen harten Brexit zu vermeiden. Allerdings werde die EU an ihren Positionen festhalten. Eine Prognose über den Ausgang der Verhandlungen bis Oktober wage er jedenfalls nicht abzugeben.

Was den Recovery Fund betreffe, so teile er den Standpunkt der EU-Kommission, dass es darum gehe, den am stärksten von der Pandemie betroffenen Sektoren und Regionen in der EU gezielt Unterstützung zukommen zu lassen. Die Position Österreichs sei hier klar pro-europäisch. Allerdings sei vieles, was seitens der EK eingebracht wurde, noch zu diskutieren, da es über das Notfall-Instrument als Reaktion auf die COVID-19-Krise hinausgehe. Manche Programme, die vom Recovery-Instrument unterstützt werden sollen, weisen aus österreichischer Sicht kaum einen Zusammenhang mit der COVID-19-Krise auf, sagte Kurz.

Der vorgeschlagenen Architektur könne man grundsätzlich zustimmen. Diese Haltung teile Österreich mit Schweden, den Niederlanden und Dänemark. Die gemeinsame Position der gerne als die "frugalen Vier" bezeichneten Staaten sei es aber auch, dass der EK-Vorschlag, Schulden aufzunehmen und als Zuschüsse auszuzahlen, in der vorliegenden Form nicht akzeptabel sei, und dass die Empfänger von Darlehen und Krediten diese auch zurückzahlen müssen. Offen sei auch noch, von wem am Ende die finanziellen Mittel zur Deckung des Recovery-Instruments kommen. Die EK schlage neue Eigenmittel vor, zu denen aber zumindest bislang unter den Mitgliedstaaten kein Konsens gefunden werden konnte. Bei dem neuen Fonds handle es sich um ein riesiges Volumen, eine Entscheidung, wie zurückgezahlt werde und wie diese Summen zu bedecken sind, müsse jedenfalls am Beginn der Verhandlungen ausführlich debattiert werden.

Abzulehnen wäre es aus Sicht von Kurz, wenn das neue Finanzierungsinstrument dazu führen würde, dass die EU zu einer dauerhaften Schuldenunion wird. Die Mittel müssten zudem richtig eingesetzt werden und zur Stärkung der europäischen Wettbewerbsfähigkeit beitragen. Er halte es für sinnvoll, wenn Investitionen in Digitalisierung und Ökologisierung stattfänden. Hingegen wäre es nicht sinnvoll, mit den Mitteln ein bedingungsloses Grundeinkommen oder Urlaubsgutscheine zu finanzieren.

Edtstadler: Zukunftskonferenz ist zwar verschoben, aber nach wie vor aktuell

Europaministerin Karoline Edtstadler ergänzte die Ausführungen des Bundeskanzlers mit dem Hinweis, dass die COVID-19-Krise die Stärke, aber auch die Schwächen der EU deutlich gemacht habe. Daher gelte es nun, die richtigen Schlussfolgerungen zu ziehen. Die Zukunftskonferenz der EU, die in Dubrovnik geplant war, sei nicht abgesagt, sondern in den September verschoben. Das jetzt bestehende Zeitfenster müsse genutzt werden, um Änderungen in der EU herbeizuführen und diese zukunftsfähig zu machen. Sie wolle die Debatte dazu vorantreiben. Dabei sei ihr die Einbeziehung der Parlamente, der Organisationen der Zivilgesellschaft und der BürgerInnen wichtig. Sie habe schon verschiedene Schritte dazu unternommen, um bis Herbst eine Diskussionsgrundlage erarbeiten zu können, die verschiedenste Perspektiven berücksichtigt.

Für Edtstadler ist es auch wichtig, die Staaten des Westbalkans weiterhin zu unterstützen und ihnen eine klare Beitrittsperspektive zu bieten.

ÖVP: Vorschlag der EU-Kommission muss noch verhandelt werden

ÖVP-Abgeordneter Reinhold Lopatka argumentierte, die Position der Bundesregierung und der "frugalen Vier", die auf die Vergabe von Krediten unter klaren Bedingungen pochen, sei grundsätzlich pro-europäisch. Die Frage, welche Belastungen man den kommenden Generationen mit neuen Schulden aufbürde, dürfe man nicht aus den Augen verlieren. Auch sei es nicht angebracht, wenn man nun den Mitgliedsstaaten, die ihre fiskalpolitischen Hausaufgaben nach der letzten Finanz- und Wirtschaftskrise gemacht haben, nun die Kosten der Krise aufbürde, während man die Staaten belohne, die das nicht gemacht haben. Jedenfalls stehe man erst am Beginn harter Verhandlungen, der Vorschlag der Europäischen Kommission könne nicht einfach kopiert werden, meinte der Abgeordnete in Richtung der NEOS. Was die Zukunft der EU betreffe, so müsse man zu einem Ausgleich zwischen den Forderungen der Subsidiarität und der Solidarität kommen und die Einbindung der nationalen Parlamente stärken. Er erhoffe sich von der Zukunftskonferenz hier eine Trendumkehr.

Die Sicht Lopatkas, dass man sehr genau darauf achten müsse, wen man unterstütze, teilte auch Martin Engelberg (ÖVP). Die Bundesregierung teile weder die Ansicht der SPÖ, die Hilfszahlungen an keine Bedingungen knüpfen wolle, noch die der FPÖ, die letztlich jede Form der Hilfe verunmöglichen würde, und vertrete damit die goldene Mitte. Für ÖVP-Abgeordnete Maria Theresia Niss ist es von zentraler Bedeutung, dass die Unterstützung für Mitgliedstaaten richtig eingesetzt wird und Investitionen in zukunftsfähige Bereiche auslöst. Laut Peter Haubner (ÖVP) steht außer Frage, dass rasch Hilfe geleistet werden müsse. Die Position Österreichs, wonach darauf zu achten ist, dass diese Hilfe auch längerfristig finanzierbar bleibt, sei aber richtig. In der Diskussion über die Zukunft der EU dürfe man zudem nicht die Staaten des Westbalkans vergessen, sagte Haubner.

SPÖ: Rasche Hilfe für Italien hilft auch Österreich

Pamela Rendi-Wagner (SPÖ) betonte, die Zustimmung zum Aufbaufonds sei durchaus nicht nur einer völlig uneigennützigen Hilfe. Für Österreich sei es aufgrund der vielfältigen wirtschaftlichen Verpflichtungen von größter Bedeutung, Italien als einem von der Pandemie am stärksten betroffenen Länder in Europa und wichtigen Nachbarland zu helfen. Eine Position, die ausschließlich Kreditvergaben zulassen wolle, riskiere eine Finanzkrise Italiens und damit eine Euro-Krise. Dem Bundeskanzler solle daher an einer raschen Lösung gelegen sein, sagte Rendi-Wagner. Sie brachte einen Antrag auf Stellungnahme ein, in dem unter anderem eine klare Positionierung zu den Vorgängen in den USA und in Menschenrechtsfragen gefordert wird. Der Antrag fand neben den Abgeordneten aus den Reihen der SPÖ nur Unterstützung der NEOS und blieb damit in der Minderheit.

Einen weiteren Antrag auf Stellungnahme brachte Kai-Jan Krainer für die SPÖ ein, der aber bei den anderen Fraktionen keine Unterstützung fand. Er erinnerte daran, dass die engen wirtschaftlichen Verflechtungen mit Italien seit Langem bestehen und die gemeinsame EU-Mitgliedschaft und die Zugehörigkeit zum Euro-Raum diese stabilisiert haben und sich damit für Österreich günstig ausgewirkt haben. Die SPÖ forderte daher eine Stellungnahme, in der der Bundeskanzler aufgefordert werden soll, im EU-Rat das von der EU-Kommission vorgelegte Paket für den europäischen Aufbauplan und einen modifizierten Finanzrahmen zu unterstützen. Auch solle in der EU ein einheitliches Level-Playing-Field bezüglich der Unternehmensbesteuerung hergestellt und individuelle nationalstaatliche begünstigende Steuerregime einzelner Staaten auf Kosten anderer EU-Mitgliedstaaten beseitigt werden. Der Bundeskanzler solle sich in der EU auch für neue EU-Eigenmittel einsetzen, etwa über eine Digitalsteuer, über eine Finanztransaktionssteuer oder CO2-Steuer. Auch SPÖ-Abgeordneter Christoph Matznetter unterstützte die Position der EU-Kommission und die Forderung nach mehr Eigenmitteln der EU. Der Antrag auf Stellungnahme des Abgeordneten Krainer wurde aber nur von der SPÖ unterstützt.

FPÖ: Keine Schuldenunion und keine Aufgabe nationaler Souveränität

Die Position der FPÖ in den Fragen der Finanzhilfen und des EU-Budgets legte Abgeordnete Petra Steger dar. Sie sieht ein Versagen der Geldpolitik der EZB, da diese nach Jahren der Anleihenkäufe nun keinen Spielraum mehr für neue Maßnahmen habe. Angesichts immer neuer Zahlungsverpflichtungen der EU stelle sich zudem die Frage, wie diese langfristig erfüllt werden können. Die Position, dass es keine Zuschüsse gebe, sei die richtige. Andeutungen der ÖVP, dass es sich hier um eine erste Verhandlungsposition handle, ließen sie befürchten, dass diese klare Position letztlich doch aufgeweicht werden könnte, sagte Steger. Ein völliger "Tabubruch" wären aus ihrer Sicht europäische Steuern, wodurch man den Nationalstaaten einen Teil ihrer Souveränität nehmen würde. Sie forderte eine Stellungnahme, wonach die Bundesregierung jeden Schritt, der zu einer Vergemeinschaftung von Schulden in der EU führt, klar ablehnen soll. Der Antrag fand aber keine Unterstützung bei den anderen Fraktionen.

Grüne: Hilfsmittel für Umsetzung des Green Deals verwenden

Für Michel Reimon (Grüne) ist die Haltung der EU im Brexit richtig, wonach man eine konstruktive Lösung anstrebe, aber diese nicht ausschließlich von der britischen Seite diktiert werden könne. Bedauerlich ist aus seiner Sicht, dass die Diskussion über den mehrjährigen Finanzrahmen der EU und die Vergabe der Mittel aus dem Recovery-Fund nur als Entscheidung zwischen Krediten und Zuschüssen dargestellt werde. Entscheidend sei letztlich die Ausgestaltung der jeweiligen Finanzinstrumente. Für Italien sei es wichtig, dass man sich nicht in eine Abhängigkeit von einem Kreditprogramm begeben wolle. Vor dieser politischen roten Linie müsse man sich in Acht nehmen und Italien eine konstruktive Lösung anbieten, die keine innenpolitische Krise auslöst. Entscheidend sei letztlich, wofür die Mittel vergeben werden. Hier bestehe die einmalige Gelegenheit, den ökologischen Umbau der Ökonomien Südeuropas zu unterstützen. Das Projekt europäischer Steuern sei richtig und zu unterstützen, meinte Reimon.

Ewa Ernst-Dziedzic (Grüne) sagte, eine klare Position in Menschenrechtsfragen sei Teil des Regierungsprogramms. Daher sei eine klare Stellungnahme zu den Vorgängen in den USA notwendig, aber auch in anderen Ländern, wo Menschenrechtsprobleme auftreten. Der außenpolitische Ausschuss des Nationalrats werde sich daher mit diesen Themen befassen. Die Abgeordnete der Grünen Astrid Rössler betonte, die EU habe sich über Jahrzehnte von einer Wirtschaftsunion zu einem Friedensprojekt entwickelt und müsse als solches bewahrt werden. Die COVID-19-Krise habe aber bereits bestehende Probleme deutlich gemacht. Wichtig sei es daher, diese im Rahmen der geplanten Hilfsinstrumente anzugehen, also die Mittel für die Umsetzung des Green Deals zu verwenden.

NEOS sehen Position der EU-Kommission als Grundlage für pro-europäische Politik

Die Europa-Abgeordnete der NEOS Claudia Gamon warnte davor, die Folgen der COVID-19-Pandemie zu unterschätzen. Was das finanzielle Volumen der geplanten Hilfsleistungen betreffe, so sei dieses in Relation zum BIP aller EU-Mitgliedsstaaten gesehen mit dem vergleichbar, was die USA und Japan zur Krisenbewältigung aufwenden. Wichtig sei, dass das Geld bei den BürgerInnen ankomme und man auch die Auswirkungen auf die kommenden Generationen betrachte. Der gewählte Weg der Ausweitung des EU-Budgets und der Nutzung bereits bestehender Kontrollinstrumente ist aus Sicht Gamons richtig. Die EU müsse unterdessen als gemeinsame Volkswirtschaft betrachtet werden, die Frage sei, wie diese nach der COVID-19-Krise dastehen werde.

Die Position der Europäischen Kommission sei zu unterstützen, weil sie das europäische Interesse im Auge habe, betonte Nikolaus Scherak (NEOS). Hier werde keine parteipolitische Diskussion geführt, man debattiere auch keine Schuldenunion, wie es dargestellt werde. Er brachte einen Antrag auf Stellungnahme des Ausschusses ein, indem der Bundeskanzler aufgefordert wird, die Position der EU-Kommission im EU-Rat zu unterstützen, insbesondere, was die Gewährung von Zuschüssen im Rahmen des Finanzierungsprogramms "Next Generation EU" betrifft. Diese Forderung fand aber neben den NEOS nur Unterstützung bei den Abgeordneten der SPÖ und blieb damit in der Minderheit.

Zur Diskussion über die Zukunft der EU forderte Helmut Brandstätter eine klare Festlegung, was im Sinne der Subsidiarität den Mitgliedsstaaten vorbehalten sein soll und wo eine gesamteuropäische Zuständigkeit bestehen soll.

Foto: BKA/Andy Wenzel

Text: Pressedienst der Parlamentsdirektion – Parlamentskorrespondenz, 17. Jun. 2020

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