Politik & Wirtschaft
Österreichisches Plattformgesetz
Fehler bei NetzDG vermeiden
„Reporter ohne Grenzen“ warnt vor einer Wiederholung der Fehler der deutschen Bundesregierung beim neuen österreichischen Gesetzentwurf zur Bekämpfung von Hassrede in den sozialen Medien und Online-Plattformen, der gestern in Wien vorgestellt wurde.
Nach dem umstrittenen deutschen Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) und dem im Juni für verfassungswidrig erklärten “Loi Avia” in Frankreich ist es der nächste Versuch eines EU-Mitgliedstaats, insbesondere marktmächtige Plattformen wie Facebook und Twitter zur schnellen Löschung illegaler Inhalte zu zwingen. Kernpunkt des Pakets ist, dass Hasspostings künftig leichter geahndet werden können und betroffene User sich rasch und niederschwellig wehren können. „Wir begrüßen das Ziel der Initiative, Personen im digitalen Raum besser vor Hassrede und Verleumdungen zu schützen. Medienschaffende sehen sich diesem Phänomen ganz besonders ausgesetzt. Zugleich verfolgt das Gesetz trotz einiger positiver Anpassungen ähnlich problematische Ansätze wie schon jene in Frankreich und Deutschland und könnte auch hier zu Einschränkungen der Meinungs- und Pressefreiheit führen“, so Rubina Möhring, die Präsidentin von Reporter ohne Grenzen (RSF) Österreich.
Das Paket umschließt zudem eine neue Plattformverantwortlichkeit für große Onlineforen (ausgenommen Enzyklopädien wie Wikipedia, Handelsportale und Medienforen). In einem Schnell-Verfahren können Betroffene die Löschung beleidigender und rufschädigender Forenbeiträge erreichen. Plattformen mit mehr als 100.000 Nutzerinnen und Nutzern und einem Jahresumsatz von über 500.000 Euro müssen künftig ein Meldeformular zur Verfügung stellen, mit dem man strafbare Hassreden melden kann. Die Betreiberinnen und Betreiber der Seiten sind dann verpflichtet, binnen 24 Stunden (bzw. sieben Tagen in uneindeutigen Fällen) gemeldete Verstöße zu prüfen und, sofern das Gesetz greift, gegebenenfalls zu sperren.
Sorge vor „Overblocking” Reporter ohne Grenzen begrüßt, dass die österreichische Regierung zentralen Kritikpunkten am deutschen NetzDG in Hinsicht auf den Schutz der Meinungs- und Pressefreiheit zuvorkommt. Zum Schutz vor einem möglichen „Overblocking“, dass also Plattformen aufgrund mangelhafter Vorgaben zu viele und intransparente Löschungen vornehmen, ist ein Widerspruchsrecht der betroffenen Nutzerinnen und Nutzer vorgesehen. Dieses wird in Deutschland noch verhandelt. Zusätzlich sollen sich Betroffene an eine unabhängige Beschwerdestelle wenden können. RSF betont schon länger die Notwendigkeit, die Entscheidungshoheit über die Rechtmäßigkeit von Inhalten nicht allein den Unternehmen zu überlassen. Nutzerinnen und Nutzer müssen sich an unabhängige Stellen wenden können und in letzter Instanz auch den Rechtsweg bestreiten können, so dass grundrechtliche Freiheiten im digitalen öffentlichen Raum gewahrt werden.
„Maßgeblich ist dabei, dass Plattformen künftig nicht mehr ohne Erklärung Beiträge löschen können. Das Recht auf Informationsfreiheit muss weiterhin bestehen bleiben“, so Rubina Möhring. Auch das bereits bestehende österreichische Kommunikationsplattformen-Gesetz (KoPl-G) schafft letztlich einseitige finanzielle Anreize für die Unternehmen, im Zweifelsfall eher einmal zu oft zu löschen, denn einzig systematische Verfehlungen bei der Entfernung von rechtswidrigen Inhalten führen zu erheblichen Geldstrafen, nicht aber die Löschung von Beiträgen, die von der Meinungsfreiheit gedeckt sind.
Wiederholung von Fehlern bei NetzDG und seinen Updates vermeiden Positiv bewertet Reporter ohne Grenzen die Einführung neuer Transparenzpflichten der Unternehmen in Bezug auf deren Umgang mit Meldungen der Nutzerinnen und Nutzer. Wissenschaft, Politik und Zivilgesellschaft sind auf vergleichbare und aussagekräftige Daten der Unternehmen angewiesen. Auch der wachsende Einfluss KI-gesteuerter Content Moderation muss transparent nachverfolgbar sein. Insbesondere Facebook und YouTube setzen immer stärker auf die automatisierte Erkennung illegaler Inhalte und nehmen dabei möglicherweise gesteigerte Fehlerraten in Kauf.
Maßgebliche Datenschutzfragen bestehen allerdings in Hinblick auf die Verpflichtung zur Speicherung von Nutzerdaten zur besseren Strafverfolgung illegaler Beiträge. Entsprechende Vorschläge im Rahmen der Erarbeitung des deutschen Gesetzes zur Bekämpfung von Rechtsextremismus und Hasskriminalität gingen teils deutlich weiter als nötig und ernteten Kritik von Datenschützerinnen und Datenschützern sowie Reporter ohne Grenzen. Die österreichische Regierung sollte daher Konsequenzen aus der deutschen Debatte ziehen und konstruktive Vorschläge beispielsweise des Beauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit aufnehmen.
Kein Warten auf Brüssel Die Europäische Kommission veröffentlichte den Entwurf bereits am Mittwoch (02.09.) nach der obligatorischen Benachrichtigung durch die österreichische Regierung. Auch auf europäischer Ebene wird derzeit an einer grundsätzlichen Reform der Internetregulierung in Form des Digital Services Act gearbeitet, mit dem ein einheitliches Regelwerk für Online-Plattformen geschaffen werden soll. Bis zu dessen Verabschiedung und Implementierung in den Mitgliedstaaten könnten jedoch Jahre vergehen. Es bleibt offen, wie die Europäische Kommission auf den erneuten nationalstaatlichen Alleingang reagiert. Im Fall des französischen Gesetzes hatte die Kommission die Fragmentierung des digitalen Binnenmarktes scharf kritisiert. Bis zu drei Monate hat sie nun Zeit, den vorgelegten nationalstaatlichen Entwurf zu bewerten.
Internationale Lösung nötig Ein internationales Regelwerk, das die demokratische Debatte und Vielfalt im Netz fördert und dabei den Schutz von Informations- und Pressefreiheit in den Vordergrund stellt, wäre aus Sicht von Reporter ohne Grenzen dringend notwendig, um den zunehmenden Zensurbestrebungen im digitalen Raum, wie RSF sie derzeit unter anderem in Russland und der Türkei beobachtet, entgegenzuwirken. Zahlreiche Staaten haben in den letzten zwei Jahren weitreichende Internetgesetze mit Verweis auf das deutsche NetzDG erlassen, teils mit verheerenden Folgen für die Pressefreiheit. So nahm die türkische Regierung das deutsche Gesetz im Juli zum Vorwand, den Druck auf internationale Plattformen zu erhöhen, staatlichen Löschanweisungen stattzugeben und Nutzerdaten lokal zu speichern, um den staatlichen Zugriff darauf zu erleichtern.
Quelle: APA-OTS
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