Politik & Wirtschaft
Die Bilanz der ÖHV
1 Jahr Corona in Österreichs Tourismus
„Manche Tage merkt man sich ein Leben lang. Für uns im Tourismus gehört der 13. März 2020 dazu“, bemerkt ÖHV-Präsidentin Michaela Reitterer zum traurigen Jahrestag der Ankündigung des ersten Covid-19-Lockdowns in Österreich: „Dieser Freitag, der 13., war ein rabenschwarzer Tag in der Geschichte des österreichischen Tourismus.“ Reitterer forderte in einer ersten Reaktion Maßnahmen zur Sicherstellung der Mitarbeiter-Einkommen. Mit 16. März wurden Hotels in Kärnten, Salzburg, Tirol und Vorarlberg nach dem Epidemiegesetz geschlossen. Noch vor der Schließung der Hotels hebelte der Nationalrat am 15. März die Verpflichtung für den Bund aus, Unternehmen für Covid-19-bedingte Ausfälle zu entschädigen: So rasch handelte der Gesetzgeber im kommenden Jahr nie wieder. Dafür brauchte es nur ein Betretungsverbot anstelle einer behördlichen Betriebsschließung, das am 4. April folgte und die behördlichen Betriebsschließungen in den vier tourismusintensivsten Bundesländern ablöste. Die Entschädigung für die Schließung bis dahin haben mehr als 90% der betroffenen Unternehmen bis heute nicht.
Das Ende des öffentlichen Lebens
Schon davor war mit dem vorzeitigen Ende der Skisaison, der Flugverbindungen, dem Verbot, öffentliche Orte zu betreten, Grenzschließungen und Landeverboten, dem Wegfall von Festen und Kulturveranstaltungen, also der Reiselust, die Geschäftsgrundlage für die Hotellerie kollabiert. Stadt- und Seminarhotels erzielen seither mit wenigen Ausnahmen praktisch keine Einnahmen mehr. Bundesweit sinken die Nächtigungen von 153 Mio. auf 98 Mio., auf das Niveau der frühen 70er.
Lockerungen für alle, Hotellerie muss warten
Mit Anfang April treten erste Lockerungen in Kraft, die Öffnung für Friseure und Einkaufszentren folgt, die Hotellerie muss bis 29. Mai warten. Die Zahl der Arbeitslosen explodiert bundesweit und branchenübergreifend, besonders stark und am nachhaltigsten betroffen ist der Tourismus. Ein Monat nach der Ankündigung des Lockdowns waren 590.000 Menschen arbeitslos, dazu 1,2 Mio. Menschen in Kurzarbeit.
Ungleiche Nachfrage-Entwicklung
Im Sommer setzten das zunehmende Licht und die Wärme dem Virus zu, der Aufenthalt im Freien ermöglicht größere Abstände, die Österreicher wollten in die Sonne und strömten an die heimischen Seen. In den Städten blieben viele, viele Betten leer. Was auch Zulieferer und Dienstleister zunehmend unter Druck setzt: „Wer davon lebt, Bettwäsche sauber zu machen, hatte und hat wenig zu tun. Genauso geht es Souvenirverkäufern, Künstlern und dem F&B-Bereich vom Wildragout bis hin zum Snack“, schildert Reitterer, selbst Eigentümerin und Geschäftsführerin eines seit Monaten leerstehenden Boutiquehotels, die triste Situation.
Hilfs-Bürokratie
Nach einer extrem aufwändigen und bürokratischen Anfangsphase pendeln sich Kurzarbeit und Fixkostenzuschuss ein, Input aus der Wirtschaft fließt nur Schritt für Schritt und mit immenser Zeitverzögerung ein. Auch Auszahlungen für ganze Unternehmen verzögern sich immer wieder wegen Unklarheiten im Detail bei einzelnen erhobenen Datensätzen. Die ÖHV fordert Clearing-Stellen, die die Unternehmen aktiv kontaktieren, um Fehler gemeinsam rasch beheben zu können. Neue Instrumente werden geschaffen, bestehende verkompliziert, die Auszahlungen dauern, zum Teil bis heute. Als die Finanzierungslücken immer größer werden, der Umsatzersatz: Er soll darbende Unternehmen mit dringend notwendiger Liquidität versorgen. Das gelingt in vielen Fällen, das Instrument hilft wirklich.
„November“-Lockdown
Am 31. Oktober erlebt die Hotellerie ein Deja-vu: Binnen Tagen müssen Nächtigungen storniert und Betriebe heruntergefahren werden, am 3. November werden die Betriebe „für vier Wochen“ geschlossen, die sich dann als zumindest fünf Monate herausstellen.
Chefsache Tourismus-Hilfen
Ein Jahr nach der Ankündigung des ersten Lockdowns ist das Ende des zweiten noch nicht in Sicht. Die Lage ist mehr als brenzlig: In einer bundesweiten Branchenbefragung der ÖHV geben 28% der Unternehmen an, nur mehr 3 Monate durchzuhalten, 34% schaffen noch ein halbes Jahr. Der durchschnittliche Umsatzverlust seit Beginn der Krise steigt in der Hotellerie je Betrieb von durchschnittlich 1,2 Mio. Mitte 2020 auf 2,5 Mio. Euro Anfang 2021. Da erklärt Bundeskanzler Sebastian Kurz die Tourismushilfen zur Chefsache und verhandelt persönlich mit Tourismusministerin Elli Köstinger und ÖHV-Präsidentin Michaela Reitterer. Nach ÖHV-Input beschließt die Bundesregierung eine gezielte Unterstützung für Arbeitgeber und Arbeitnehmer in Lockdown-Branchen in der Höhe von insgesamt 1.000 Euro netto, darüber hinaus die Verdoppelung des Ausfallsbonus von 15% auf 30% und der Obergrenze von 30.000 auf 50.000 Euro: Hilfe zur rechten Zeit für viele Arbeitgeber-KMU in ganz Österreich, gerade weil die komplexen Fördermaßnahmen in vielen Fällen nicht greifen: „Es geht um Übernahmen, Umgründungen und Sonderkonstruktionen. Andere Betriebe sind zu groß, und das ist besonders tragisch, weil es um so viele Mitarbeiter im eigenen Betrieb und in der Region geht“, betont Reitterer die Notwendigkeit der höheren März-Hilfen. Dringlichster Wunsch der Branche sind Planbarkeit und eine Perspektive: „Es würde schon helfen, die Mindestdauer des Lockdowns zu kennen. Es haben ja viele Gäste für Ostern gebucht. Wie sollen wir damit umgehen? Wie weit müssen welche Corona-Zahlen sinken, damit Hotels öffnen können und unter welchen Vorgaben?“
Zwei Learnings
Österreich und die Welt stecken noch mitten in der Covid-Krise, doch einige Learnings zeichnen sich schon jetzt ab, allen voran, dass die bisherigen Entbürokratisierungsprozesse nicht weit genug gingen. Die Branchensprecherin wünscht sich, dass die Jahrzehnte alte Versprechen einer Entbürokratisierungsreform „in die Tat umgesetzt wird, bevor die nächste Pandemie kommt!“ Mindestens genauso wichtig: eine spürbare und nachhaltige Senkung der Lohnnebenkosten: „Es hat einen Grund, warum Dienstleister so wenige Reserven bilden können – die hohen Mitarbeiterkosten. Sie sind so hoch, dass viele Betriebe nicht einmal in der Hochkonjunktur Rücklagen bilden können. Wenn wir wollen, dass Urlaub in Österreich für Familien nach der Krise leistbar bleibt, müssen die Lohnnebenkosten deutlich runter“, hält Reitterer fest.
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Foto: Dragan TATIC
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