Chronik
„Die Zerbrechlichkeit der Welt“
Paul-Watzlawick-Ehrenring 2021 geht an Stefan Thurner und Peter Klimek
Durch die Corona-Pandemie sind Peter Klimek und Stefan Thurner, Mitinitiator des Complexity Science Hub Vienna (CSH), auch einer breiten Öffentlichkeit bekannt geworden. Sie waren und sind diejenigen, die mithilfe von Big Data und Einbeziehung unterschiedlicher Daten, die sie von Behörden und Institutionen erhalten, Prognosen zur weiteren Entwicklung der Pandemie abgeben. Dabei verknüpfen sie unterschiedliche Informationen und potenzielle Einflussfaktoren miteinander. Unter anderem dafür wird den beiden Komplexitätsforschern der von der Wiener Ärztekammer gestiftete Paul-Watzlawick-Ehrenring verliehen. ****
„Jedes komplexe System hat Netzwerke in sich. Das Verständnis dieser Netzwerke ist die Quintessenz, um komplexe Systeme zu verstehen, wie sich diese dynamisch verhalten, wie sie auf Stress reagieren, Robustheit zeigen oder kollabieren. Erst wenn man weiß, wie die Bausteine miteinander in Beziehung stehen, kann man ein System verstehen“, so Thurner, der erst vor wenigen Monaten das Buch „Die Zerbrechlichkeit der Welt“ veröffentlicht hat.
Gemeinsam mit seinem Kollegen Peter Klimek arbeitete er an komplexen Problemen aus den Segmenten Klimawandel, Migration, gesellschaftliche Ungleichheit, Gesundheitspolitik und -versorgung sowie Finanz- und Ökosystemen.
„Wir wollen wissen, wie Krankheiten entstehen“
Die Beschäftigung mit komplexen Systemen ist noch eine junge Wissenschaft, eine indirekte Konsequenz der Informationsgesellschaft und der Möglichkeiten, die Big Data bieten, um unterschiedliche Systeme und deren Verwobenheit zu analysieren.
Stefan Thurner ist gebürtiger Tiroler, studierte theoretische Physik an der Universität Wien sowie an der TU Wien, wo er sich – nach Studienaufenthalt an der Columbia University, der Humboldt-Universität und der Boston University – habilitierte. Seit 2009 ist Thurner, der auch ein Studium der Wirtschaftswissenschaften absolvierte, Professor für die Wissenschaft komplexer Systeme an der MedUni Wien. Seit 2015 leitet er den Complexity Science Hub Vienna, eine europaweit einzigartige Forschungsinstitution.
Peter Klimek studierte bei Thurner theoretische Physik an der Universität Wien, war anschließend in der privaten Forschung am European Virtual Institut für Integrated Risk Management sowie am Internationalen Institut für Angewandte Systemanalyse beschäftigt. Seit 2011 ist er am Institut für die Wissenschaft komplexer Systeme der MedUni Wien tätig, wo er sich in Computational Science habilitierte und dann, gemeinsam mit Thurner, an den Complexity Science Hub Vienna ging.
Beide Wissenschafter arbeiten seit Jahren eng zusammen, wobei derzeit Krankheiten und Verbreitung von Krankheiten im Fokus ihrer Tätigkeit entstehen: „Wir wollen wissen, wie Krankheiten entstehen und wie sie sich ausbreiten können. Dabei gehen wir von mehreren Netzwerken aus, die ihre Funktion nicht oder nur teilweise erfüllen.“
Beide appellieren an die Öffentlichkeit und Institutionen, möglichst viele Daten – selbstverständlich verschlüsselt und anonymisiert – zu sammeln und der Wissenschaft zur Verfügung zu stellen. „Nur Big Data kann helfen, künftige Tipping-Points zu erkennen und einen Beitrag leisten, sie umzusteuern.“
Komplexe Systeme miteinander in Beziehung setzen
„Es ist faszinierend, was die beiden leisten und wie sie, weit über die Erforschung der Gründe für die Verbreitung von Krankheiten hinaus, komplexe Systeme miteinander in Beziehung setzen und damit wesentliche Probleme, auf die unsere Gesellschaft zusteuern, frühzeitig erkennen können – gleichgültig, ob es Finanzsysteme, Demokratiemodelle, Klimaherausforderungen oder gesellschaftliche Ungleichheiten und deren bedrohliche Auseinanderentwicklung sind“, kommentiert Elisabeth J. Nöstlinger, Vorsitzende der Jury des Paul-Watzlawick-Ehrenringes, die wissenschaftliche Bedeutung des Forschungsgebiets der beiden Ehrenring-Träger.
Der Paul-Watzlawick-Ehrenring der Ärztekammer für Wien ist eine Hommage an den großen österreichischen Kommunikationstheoretiker, Psychotherapeuten und Mitbegründer der Theorie des radikalen Konstruktivismus, Paul Watzlawick, der heuer vor 100 Jahren geboren wurde. Den Ehrenring erhalten Persönlichkeiten, die in ihrem Werk und in ihrer Forschung jenen disziplinübergreifenden, humanistischen Ansatz verfolgen, den Paul Watzlawick auszeichnete.
2021 wird der Ehrenring zum bereits 12-mal vergeben. Die bisherigen Ringträger sind: Robert Pfaller, Ulrike Guérot, Hartmut Rosa, Franz Schuh, Konrad Paul Liessmann, Ruth Klüger (†), Walter Thirring (†), Friedrich Achleitner (†), Rüdiger Safranski, Aleida Assmann und Peter L. Berger (†). Für sein Lebenswerk wird 2021 zudem der Wiener Philosoph Wolfgang Burger mit dem Watzlawick-Ehrenpreis ausgezeichnet, wie einige Jahre davor die ungarische Philosophin Ágnes Heller (†).
Der Watzlawick Ehrenring wurde von der Meisterklasse Paolo Piva im Rahmen eines Wettbewerbs designed und erinnert an eine Möbius-Schleife.
„Wir sind stolz, dass wir heuer zwei Forscher auszeichnen, die wesentlich dazu beitragen, aktuelle Probleme unserer Gesellschaft zu erkennen und Lösungsansätze für diese Probleme zu finden. Das geht weit über die Beschäftigung mit COVID-19 hinaus“, so Ärztekammerpräsident Thomas Szekeres. (hpp)
(S E R V I C E – Der Paul-Watzlawick-Ehrenring wird am 7. Oktober 2021 im Rahmen einer Wiener Vorlesung im RadioKulturhaus (Beginn:
19.00 Uhr) verliehen. Die Laudatio wird die Wissenschaftsforscherin Helga Nowotny halten, die auch wesentlich dazu beigetragen hat, dass der Complexity Science Hub Vienna gegründet und mit dementsprechenden finanziellen Mitteln ausgestattet werden konnte.)
Quelle: Copyright APA-OTS Originaltext-Service und Ärztekammer Wien
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